- Maya: Städte und Tempel
- Maya: Städte und TempelMitten im wuchernden Tropenwald von Ostmexiko, Guatemala, Belize und dem westlichen Honduras stoßen Archäologen seit dem letzten Jahrhundert auf steinerne Denkmale einer Zivilisation, die scheinbar aus dem Nichts auftauchte, über Generationen die zeitgenössische Welt mit pulsierenden Städten, Ehrfurcht gebietenden Tempeln und stolzen Palästen in ihren Bann schlug, um dann, wieder gänzlich unerwartet, vom Dschungel verschluckt zu werden.Träger einer HochkulturDie Baumeister der pompösen Metropolen, Götterburgen und Herrensitze kennt man seit langem. Es waren Maya, Angehörige einer auch heute noch im Gebiet ansässigen Sprach- und Völkerfamilie, deren Ursprünge im Cuchumatanesbergland Guatemalas liegen. Entlang der Flüsse breiteten sich Mayapioniere ab 2000 v. Chr. über die Halbinsel Yucatán zur Karibikküste hin aus. Diese Menschen errichteten Rundbauten aus vergänglichem Material, die um einen mit Lehmestrich versiegelten Zentralplatz gruppiert waren, also bereits dem geläufigen Muster mesoamerikanischer Siedlungszentren entsprachen. Unter sich verstärkender gesellschaftlicher Differenzierung setzte zwischen 900 und 400 v. Chr. die Expansion in Landstriche abseits der Flüsse ein. Dort formierten sich erste stadtähnliche Gebilde. Neuere Forschungen lassen erkennen, dass auf Handel gestützte Beziehungen zwischen den Teilregionen der alten Mayawelt und deren Peripherie den Grundstein für die nachfolgende kulturelle Hochblüte legten. Mit den Handelsgütern nämlich verbreiteten sich auch neue Ideen. Zwar pflegte jede Region ihre eigenen Traditionen, die Bewohner aber standen untereinander in regem Gedankenaustausch und fügten jeweils andere kulturelle Mosaiksteine in das Gesamtbild ein.Während der Späten Vorklassik kam es in Verbindung mit einem explosiven Bevölkerungswachstum zur Neugründung vieler Städte. Man bediente sich erstmals monumentaler Steinarchitektur als sichtbarem Ausweis gottgegebener Herrschaft einer gesellschaftlichen Elite. Die Verwendung des Kraggewölbes zur Abstützung schwerer Baulasten, Flachreliefs mit »barocken« Ausschmückungen und Stuckdekor zeugen von Ingenieurwissen und von großem handwerklichem Können. El Mirador, an der Waldgrenze Guatemalas zu Mexiko gelegen, wuchs zum größten Stadtkomplex Mesoamerikas seiner Zeit. »El Tigre« und »Los Monos«, die Kolossalpyramiden Miradors, enthalten eine Viertelmillion Kubikmeter Baumasse; die Höhe der Jaguarpyramide entsprach mit 55 m Höhe einem achtzehngeschossigen modernen Hochhaus.Planung und Leitung solcher Bauvorhaben sowie die generelle Kontrolle der Arbeitskräfte lagen ab 219 n. Chr. in der Hand von Herrscherdynastien, einer zu dieser Zeit für Mesoamerika neuen Erscheinung. Tikal, das von der Aufgabe El Miradors 50 n. Chr. profitierte, scheint hierbei eine Vorreiterposition eingenommen zu haben. Ausübung und Fortschreibung von Herrschaft, militärische Erfolge und herausragende Bauleistungen verewigten die Waldmaya auf Ruhmesstelen. Eingeführt wurden ferner eine von den olmekischen Vorbildern abweichende Schreibschrift sowie die Kunst der Kalenderdeutung, mit deren Hilfe Herrschaftsabfolgen chronologisch festgehalten, Daten für religiöse Zeremonien abgerufen und kosmische Gesetzmäßigkeiten mit Feldbauzyklen in Verbindung gebracht werden konnten.Solche Errungenschaften sind in einem Regenwaldgebiet eher ungewöhnlich und nur mit speziellen, auf den Lebensraum zugeschnittenen ökonomischen Anpassungen zu erklären. Wie inzwischen an mehreren Fundplätzen im Nordosten der Yucatánhalbinsel nachgewiesen wurde, stützte sich die Landwirtschaft der Maya dort auf ein ausgeklügeltes System zur Entwässerung von Sumpfgelände, das die Anlage drainierter Hochbeete zuließ. Andernorts betreuten Bauern sortenreiche Hausgärten: Neben den Anwesen gediehen im Schatten einzelner hoher Waldbäume Pfefferschoten, Mais, Bohnen, Papayas, Avocados, Tomaten, Kürbisse, Gewürze und Heilpflanzen. Wo Savannen vorherrschten, kultivierten Gärtner die trockenempfindlichen Kakaobäume — ihre Früchte dienten weithin als Zahlungsmittel — in feuchten Erdfällen. Reichere Erträge als die »Küchengärten« lieferten Terrassenfelder, auf deren Überreste Archäologen unlängst im Innern Yucatáns stießen. Hier hatte man an den Flanken gerodeter Hügel bis zu 50 m breite Parzellen angelegt. Steinmauern schützten das Erdreich vor Erosion. Regenwasser wurde an Steinführungen und Pfaden hangabwärts geleitet. Auf dem oberirdisch abflusslosen Kalksteinplateau der Halbinsel war Wasser ein kostbares Gut, zumal während der alljährlichen Trockenzeit. Deswegen legten die Baumeister der Maya örtlich riesige Zisternen an, in denen man darüber hinaus Speisefische züchtete.Gegen Ende der Vorklassik ereignete sich 250 n. Chr. im Gebiet der Bergmaya Guatemalas eine folgenschwere Naturkatastrophe. Zu dieser Zeit brach in unmittelbarer Nachbarschaft der traditionsreichen Metropolen Chalchuapa und Kaminaljuyú der Vulkan Ilopango aus und verheerte mit gewaltigen Asche- und Bimsausstößen das Land im Umkreis von 75 km. Die Apokalypse, sicher schuld am Tod vieler Menschen, wirkte sich negativ auf den eingespielten Gütertransfer zwischen Hoch- und Tiefland aus. Wirtschaftliche Einbußen mussten wettgemacht, neue Handelspartner gewonnen werden. Gleichzeitig bargen der Zustrom und die Integration von Tausenden Flüchtlingen aus dem Katastrophengebiet unvorhersehbaren gesellschaftlichen Zündstoff.Frühklassik (250—600 n. Chr.)Wachsender Bevölkerungsdruck, Wettbewerb unter den Zentren und schöpferische Impulse durch Zuwanderer aus dem Hochland sorgten ab Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. für ein kulturelles Reizklima, in dem bewährte Traditionen ausgebaut und neue Anregungen verarbeitet wurden. In der Frühklassik entstand und verbreitete sich die Staatsidee als Instrument politischer Machtausübung. An der Spitze eines solchen Stadtstaates stand der k'ul ahaw (»Hoher Herr«), ein Gottkönig, der sich mit allem erdenklichen Prunk umgab und über einen ansehnlichen Hofstaat gebot. Ausschnitte höfischen Lebens überlieferten die Maya der Nachwelt in szenischer Motivmalerei auf Grabkeramik. Der pralle Bilderbogen, auf Gefäßensembles oft zu Fortsetzungsgeschichten nach Art unserer Comicstrips arrangiert, spannt sich von Akrobaten, Narren, Musikanten, Tänzern und Tierbändigern zu den vornehmen Zuschauern, die bei anderer Gelegenheit Augenzeugen farbenfroher Empfänge und Prozessionen werden, dem Einzug eines Potentaten in seiner Sänfte beiwohnen oder politische Verhandlungen zwischen Lokalfürsten umrahmen. Adlige aus dynastischen Geschlechtern bildeten die »Creme« der Mayagesellschaft. Am unteren Ende der sozialen Hierarchie war das gemeine Volk angesiedelt. Die Bauern lebten in schlichten, mit Palmstroh gedeckten Häusern aus Holz oder Bambus, von denen nicht mehr erhalten blieb als der gestampfte Lehmfußboden. Zwischen diese gesellschaftlichen Pole schaltete sich ein ausgeprägter Mittelstand aus Kaufleuten, Verwaltungsbeamten, Künstlern, Architekten, Schreibern und Orakelpriestern, der es zu ähnlichem Wohlstand wie die Noblen gebracht hatte und nach dem Tode mit vergleichbaren Grabbeigaben die Reise in die Unterwelt antrat.So wie sich die Maya in ein geschichtetes, hierarchisch gegliedertes Gesellschaftssystem eingebunden fanden, stellten sie sich auch den umgebenden Kosmos vor. Die Erde — eine riesige Schildkröte, die im Weltozean schwimmt — und mit ihr das gesamte Universum teilten sich nach allgemeinem Glauben in vier Quadranten sowie pyramidenhaft auf- und absteigende Ebenen. Innerhalb dieses Koordinatengeflechts aus dreizehn Himmels- und neun Unterweltsschichten waren den Göttern bestimmte Plätze und Funktionen zugewiesen. Bei der künstlerischen Umsetzung ihrer Erscheinungsformen spielen tier-, pflanzen- und menschenähnliche Aspekte ineinander — ein Hinweis auf die göttliche Verkörperung von Naturkräften. Auch sind einzelne Gestalten nicht immer auseinander zu halten oder nehmen scheinbar mit ihrem »Ressort« nicht vereinbare Attribute an. In der Austauschbarkeit von Attributen sahen die Maya wie auch andere außereuropäische Völker nichts Unnatürliches, da sie aus dem eigenen Lebenskreis zum Beispiel um die Polarität menschlichen Verhaltens wussten. Daher schrieben sie auch den Göttern gegensätzlich-widersprüchliche Eigenschaften und davon abgeleitete Erscheinungsbilder zu. Ähnlich dachte man über den Charakter göttlichen Wirkens, wobei sich der vermeintlich unvereinbare Gegensatz von Gut und Böse ebenso als Einheit präsentieren ließ wie zueinander in Opposition stehende Funktionen. Wenn der Wettergott Caak, von dem man sich Regen wünschte, auf einigen Darstellungen drohend seine Blitzaxt gegen den knabenhaften Maisgott Ah Mun schwingt, wird damit die Dualität des Phänomens Regens ausgedrückt: Niederschläge bedeuten eben nicht nur Fruchtbarkeit, sondern können — im Übermaß — den Erfolg des Pflanzers verderben.Wie alle Götter Mesoamerikas dürsteten auch die der Maya nach Blut, dem »Mörtel des zeremoniellen Lebens«, der die Bausteine der kosmischen Architektur zusammenhielt. So kühlte das Opferblut von Kriegsgefangenen den Mut der streitbaren Götterarmee oder besänftigte Ängstliche, wenn das kritische Ende eines Kalenderzyklus nahte. Blut floss auch bei Geburten, Hochzeiten und Begräbnissen. Es beschwor das Heil der Gemeinschaft und war Medium, kraft dessen jeder Einzelne in Kontakt mit jenseitigen Mächten treten konnte. Der rituelle Aderlass mit Obsidianmessern oder Rochenstacheln, vorgenommen am Penis oder an der Zunge, speiste die Göttlichen, während der Opfernde infolge des Blutverlustes Bewusstseinsveränderungen durchlebte, die ihm, wie im Drogenrausch, den Blick auf das mystische »Sein zwischen den Dingen« öffnete.Die Beschaffung von Gefangenen, die man anlässlich einer Tempelweihe oder der Inthronisierung eines Herrschers zu opfern gedachte, aber auch Effekthascherei und Ruhmsucht der Fürsten, dürften der Grund für viele, freilich lokal begrenzte Fehden und Kleinkriege gewesen sein. Vermutlich liefen solche Konflikte streng ritualisiert ab und uferten nur gelegentlich in größere Schlachten aus. Man gewinnt den Eindruck, dass Versöhnungsverhandlungen mit ihren Lobreden und dem prunkvollen Brimborium wichtiger als der eigentliche Kriegszug waren.Dies änderte sich im 6. Jahrhundert grundlegend. In einer Phase des allgemeinen kulturellen Niedergangs und der Desorientierung, von den Archäologen »Hiatus« genannt, wurde Krieg zum politischen Mittel. Symptomatisch ist der Fall Tikals. Tikal war das beherrschende Zentrum des Petén, des Mayakernlands im nördlichen Grenzgebiet Guatemalas zu Mexiko. Ihre herausragende Stellung verdankte die Stadt vor allem engen Kontakten zur Handelsgroßmacht Teotihuacán im fernen Zentralmexiko. Zeitweise ist der Druck Teotihuacáns auf Tikal und andere Metropolen so stark gewesen, dass es Marionettenfürsten in Amt und Würden bringen, eigene religiöse Vorstellungen durchsetzen, Waffentechnik, Verwaltung, Tracht und Architektur beeinflussen konnte. Als Teotihuacáns Stern um 550 sank, wirkte das bei seinen Handelspartnern wie ein Schock. Auch Tikal wankte. König Te (»Wasser«) aus Caracol im heutigen Belize nutzte die Schwäche des Rivalen. 562 führte er Krieg gegen Tikal und warf es nieder.Hochklassik (600—910 n. Chr.)Nach dem »Hiatus« bescherte die Hochklassik den Waldmaya eine Zeit neuen Aufschwungs. Damals wurde der Höhepunkt demographischer und künstlerischer Entfaltung erreicht. Ehemalige Ableger und Verbündete Tikals gelangten ihrerseits zu Wohlstand und Macht. Im Südwesten der Gesamtregion eroberte Palenque die Spitzenstellung, den Südosten dominierte Copán. Die wichtigste Wasserstraße, den Río Usumacinta, kontrollierten Yaxchilán und seine Vasallen. Mitte des 7. Jahrhunderts schwang sich Calakmul am Nordrand des Peténregenwaldes, seit 546 von regionaler Bedeutung, zum allüberragenden Königreich auf. In ihrer Glanzzeit bedeckte die Metropole 130 km2 — die größte bekannte Mayastadt! Doch im wieder erstarkten Tikal fand sie einen ebenbürtigen Gegner. Beide Supermächte zwangen nacheinander sämtliche Staaten des südlichen Tieflandes unter ihr Joch. Calakmuls starker Arm reichte zu guter Letzt von Chicanná im Norden bis Toniná im Westen und Quiriguá im Osten, Tikal hatte seinen Einfluss auf Palenque und Copán ausgedehnt. Im Auftrag der Imperien wurden Stellvertreterkriege angezettelt, Dissidenten zur Räson gebracht und Tribute eingezogen. 695 stellten sich die Rivalen zur Entscheidungsschlacht. Tikal, geführt von dem charismatischen Hasaw Caan Kawil, trug den Sieg davon. Die Niederlage des treuesten Vasallen Naranjo 744 besiegelte den endgültigen Untergang Calakmuls, dessen Name seither nicht mehr genannt wird.Tikal leistete sich nach seinem Triumph, nun im Zenit der Machtentfaltung, ein ehrgeiziges Bauprogramm. Allein der Stadtkern verdichtete über 3000 Tempelanlagen, Opferschreine, Observatorien, Paläste, Ballspielplätze und Wohnhäuser. Religiöser Mittelpunkt war »Mundo Perdido« (»Verlorene Welt«), wie Archäologen die 6 km2 große, ummauerte Kultarena am westlichen Rand der Innenstadt tauften. Dort begingen die Einwohner Tikals Kalenderfeste, Siegesfeiern und Ehrentage der Herrscher, vollführten Würdenträger Trancetänze. Besessenheit, vor vielköpfigem Publikum als kultisches Theater zelebriert, diente der Kommunikation mit den Überirdischen. Eingekehrt in einen sterblichen Leib, erteilten sie Rat, äußerten Weisungen und Befehle.Der neue Glanz Tikals erscheint aus heutiger Sicht als Abgesang der klassischen Mayakultur. Denn im Verlauf des 9. Jahrhunderts setzte im südlichen Tiefland schleppender, mancherorts auch dramatischer Kulturwandel ein. Monumentale Bauprojekte wurden eingestellt, die dem tropischen Urwald nachempfundenen, lianenhaft wuchernden Schmuckformen an Gebäuden und Skulpturen wichen nüchternen Stilelementen, sogar die bunt bemalte Grabkeramik verschwand. Überall ging die Bevölkerung rapide zurück, viele Zentren fielen wüst. Ein letztes Datum in »Langer Zählung« findet sich auf einer Stele des Jahres 909. Was war geschehen? Niedergang und Aufgabe eben noch wohlhabender, glanzvoller Gemeinwesen gaben Anlass zu allerhand Spekulationen und abenteuerlichen Erklärungen. Heute sieht die Forschung klarer. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand führten miteinander in Wechselwirkung stehende Faktoren, deren Verknüpfung und örtliche Rückkopplung den einmal ausgelösten Trend in fataler Weise verstärkten, zum Niedergang. Ohne Zweifel stand Raubbau an der Natur am Beginn der Kette. Gleichzeitig kam es zu einem eklatanten Bevölkerungszuwachs; damit ging eine Überbeanspruchung der Ressourcen einher, die die Umwelt belastete, war doch eine naturverträgliche Nutzung nicht mehr möglich. Hinzu kam, dass die warme Klimaperiode des Neoatlantikums landwirtschaftliche Bedingungen generell verschlechterte. In dieser Situation gaben die Bauern althergebrachte Agrarmethoden auf und wandten sich dem Wanderfeldbau zu. Bei dem immer noch üblichen Verfahren werden ständig neue Waldstücke durch Brandrodung urbar gemacht. Praktisch bedeutete dies, dass sich die Untertanen weiter und weiter aus der Einflusssphäre der Metropolen entfernten. Es entstand, gepaart mit dem Verfall zentraler politischer Autorität und der Teilhabe an Macht und Titel durch mehrere Personen — meist Brüder oder nahe Verwandte —, eine Vielzahl neuer, autonomer Fürstentümer. Während dieser »Balkanisierung« des Mayagebietes nahm die Häufigkeit kriegerischer Handlungen sprunghaft zu. Gewaltspirale, ökologischer Selbstmord, ökonomische Krise und gesellschaftliche Verwerfungen summierten sich schlussendlich zum Desaster.Nachklassik (910—1697)Allein, die Apokalypse im Süden hatte nicht das Ende der Mayakultur zur Folge. Nun schlug die Stunde des Nordens! Dort waren in der Hochklassik neben altangesehene Zentren wie Dzibilchaltún städtische Neugründungen getreten, darunter Chichén Itzá. Obwohl durchaus Verbindungen zu anderen Teilen der Mayawelt existierten, nahm der Norden Züge einer wohl definierten Kulturprovinz an, die sich u. a. durch eigenständige Architekturformen und Bautechniken auszeichnete. Die Unterschiede vertieften sich noch, als um 900 toltekische Kriegermannschaften in das Gebiet einfielen und sofort ansehnliche Geländegewinne erzielten. Dabei kam ihnen ihre überlegene Bewaffnung zugute, namentlich die Verwendung von Pfeil und Bogen.Unter den toltekischen Itzá mauserte sich Nordyucatán zum neuen Herzstück der Mayazivilisation. Zwar fehlten jetzt typische Merkmale der Klassik — himmelwärts aufragende Tempelpyramiden oder reliefierte, beschriftete Steinmonumente, doch verbieten es andere Errungenschaften, die Nachklassik pauschal als Spanne kultureller Rezession und Dekadenz abzuqualifizieren. Beispielsweise kann die bereits vor Ankunft der Tolteken in Chichén verwirklichte Reichsidee — Remineszenz des Hegemonialstrebens Calakmuls und Tikals — als vielleicht bedeutendster Versuch einer politischen Vereinigung im Mayagebiet gewertet werden. Historische Ereignisse hielt man nun in Buchchroniken (Codices) fest. Auch bei der Architektur orientierten sich die Maya stärker an zentralmexikanischen Vorbildern. So imitieren die Kolonnaden des »Kriegertempels« von Chichén Itzá auffällig den aus Tula bekannten Bautypus der »toltekischen Halle«.1250, nach dem Zusammenbruch des Staates von Chichén, stieg Mayapán zur beherrschenden Macht Nordyucatáns auf. Der »Liga von Mayapán« traten verschiedene Fürstentümer bei, sodass sich die Einflusszone des Bundes auf den größten Teil der Halbinsel erstreckte. 1441 zerbrach die Allianz im Streit mit Uxmal, und Yucatán wurde in eine Reihe unabhängiger Sektoren aufgeteilt.Diesen Zustand fanden die Spanier vor, als sie 1517 an der Nordostküste landeten. Der nachfolgenden Eroberung, Unterwerfung und Missionierung hielt die jahrtausendealte Mayakultur nicht stand. Einzig die aus Chichén geflohenen Itzá, die sich auf einer Insel im Peténsee Guatemalas verschanzt hatten, trotzten den Eindringlingen noch eine Weile. Erst 1697 stürmten die Spanier ihre Festung Tayasal.Wolfgang MüllerWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Indianer Süd- und Mittelamerikas in der Kolonialzeit: Unterdrückung und SelbstbehauptungGrundlegende Informationen finden Sie unter:Altamerika: Anfänge und formative PhaseRosner, Enrique: Missionare und Musketen. 500 Jahre lateinamerikanische Passion. Frankfurt am Main 1992.Schele, Linda/Freidel, David: Die unbekannte Welt der Maya. Das Geheimnis ihrer Kultur entschlüsselt. Aus dem Amerikanischen. Lizenzausgabe Augsburg 1995.Die Welt der Maya, herausgegeben von Wolfgang Vollmert. Hamburg 1993.
Universal-Lexikon. 2012.